Inter- und transdisziplinär forschen und kommunizieren
Den Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie für Wissenschaften und das BMBF-Verbundprojekt Anthropofakte verbindet nicht zuletzt eine basale Gemeinsamkeit: Beides sind interdisziplinär ausgerichtete Forschungsgruppen, deren Mitglieder jeweils zu verschiedenen wissenschaftlichen Fragestellungen zusammenarbeiten. Während der Gentechnologiebericht eine deutschlandweite Arbeitsgruppe ist, die sich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener natur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen zusammensetzt, ist das Projekt Anthropofakte ein Verbund geisteswissenschaftlicher Forschungen an der Technischen Universität Berlin und dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden.
Ein produktiver Austausch über die Herausforderungen und Horizonte interdisziplinären Arbeitens stellte vor diesem Hintergrund das Ziel eines gemeinsamen Workshops dar, der am 28. November 2014 unter dem Titel »Zwischen Wissen und Wissenschaft. Inter- und transdisziplinär Forschen und Kommunizieren« im Akademiegebäude der BBAW am Berliner Gendarmenmarkt stattfand. Doch auch die Forschungsfelder beider Projekte, die Gentechnologie auf der einen und die Prothetik auf der anderen Seite, weisen Parallelen auf. Daher stellte das Offenlegen inhaltlicher Schnittstellen ein weiteres wesentliches Grundanliegen der Tagesordnung dar, auf deren Grundlage möglicherweise zukünftige Kooperationen stattfinden könnten.
Technisches Enhancement als gemeinsames Problem
Der erste Programmpunkt des Workshops wies jedoch zunächst auf die unterschiedlichen Forschungsanliegen beider Projektgruppen hin. Da die Problematik des technischen Enhancements in beiden Arbeitsgruppen präsent ist, fand der Einstieg in den Workshop beispielhaft anhand eines Austauschs über mögliche Positionierungen zu ihm statt.
Ein Anliegen des Anthropofakte-Projekts ist es, den Grundfragen der Schnittstelle zwischen menschlichem Körper und Technik nachzugehen und Diskurse auf ihre Voraussetzungen hin zu analysieren, um ein Problembewusstsein zu schaffen und Forschungszugänge freizulegen. Zunächst wurde festgestellt, dass, da mit technischem Enhancement nicht etwa Rechtsnormen verknüpft sind, für das Projekt nicht die Notwendigkeit einer Definition besteht. Der Begriff »technisches Enhancement« bezieht sich jedoch, so die weitere Argumentation, im allgemeinen Kontext auf die Möglichkeiten, technische Mittel dafür zu nutzen, menschliche Körper zu modifizieren und eben auch weiterzuentwickeln. Er folgt einem Fortschrittsgedanken und legt, wie festgestellt wurde, schon rein terminologisch eine Verbesserungswürdigkeit des menschlichen Körpers nahe, die etwa einem Ideal der funktionalen Leistungsfähigkeit folgen müsste. Daher erweist sich, so die Folgerung, technisches Enhancement nicht bloß als kontemporäre Gegebenheit, sondern als ideologisch aufgeladener Begriff, mit dessen Hilfe womöglich Fragen nach Nutzen und Leistungsfähigkeit des Menschen ausgeklammert werden könnten, durch den aber in jedem Fall bereits eine bestimmte Haltung und konkrete Interessen in Debatten vorstoßen.
Ein Interesse des Gentechnologieberichts der BBAW ist dagegen vielmehr, die wissenschaftliche Grundlage eines handlungsorientierten Umgangs mit ihrem Forschungsfeld zu schaffen. Es sollen die verschiedenen Anwendungsbereiche von Gentechnologie erfasst, aufgearbeitet und langfristig beobachtet werden, wozu die Schaffung von Forschungsmethoden notwendig ist. In diesem pragmatisch ausgerichteten Diskurs wird es, wie bemerkt wurde, notwendig, einen funktionalen Umgang mit technischem Enhancement zu finden, ohne dabei den Begriff vollends abzudecken. Da technisches Enhancement sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in Forschungsdiskursen präsent ist, besteht, wie argumentiert wurde, ein Zwang der Auseinandersetzung damit. Ebenfalls gibt es ein Interesse an der Schaffung einer heuristischen, also einer Arbeitsdefinition des Begriffs, wie sie sich etwa für den Begriff »Prothesen« als künstliche, anorganische Körperelemente fassen lässt. Eine solche Definition könnte beispielsweise aus einem Vergleich individueller Körper mit Durchschnittskörpern hervorgehen, käme jedoch, wie festgestellt wurde, ebenfalls nur schwerlich ohne eine Stellungnahme bezüglich der Zwecke lebender Körper aus.
Disziplinarität und Interdisziplinarität
Anhand verschiedener systematischer Zugänge wurde im weiteren Vorgehen ein Austausch über Herausforderungen und Möglichkeiten von Formen interdisziplinärer Zusammenarbeit angestrebt. Hierzu sollte zunächst die Bedeutung von Disziplinarität in beiden Gruppen erfasst werden, die erneut zurück auf die Forschungsanliegen führte. Der Gentechnologiebericht ist, wie gezeigt wurde, aufgrund seiner Voraussetzungen einem Konsens zwischen den einzelnen Disziplinen verpflichtet, sodass die Umrandung und Erarbeitung eines gemeinsamen Forschungsziels die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Forschungsbereiche bestimmt. Hierbei sollen naturwissenschaftliche, ethische, politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Fragestellungen zusammengeführt werden, um die Komplexität behandelter Themen zu erfassen. Auch das seitens der Projektgruppe Anthropofakte geäußerte Ideal des konfrontativen Arbeitens wird dabei berücksichtigt, indem versucht wird, konfrontative Begriffsarbeit zu leisten, um sich einem kleinsten gemeinsamen Nenner annähern zu können und der Aufgabe gerecht zu werden, gemeinsame Einschätzungen zu formulieren.
In einem daran anschließenden Punkt wurde die Frage gestellt, was eine erfolgreiche interdisziplinäre Arbeit ausmacht. Hierbei fand eine Diskussion der Vor- und Nachteile des Konsensideals statt. In der Frage nach dessen Übertragbarkeit auf den universitären Rahmen äußerte vor allem Christoph Asmuth (TU Berlin) Bedenken hinsichtlich der Konsensvoraussetzungen, die nicht zwangsläufig mit den Interessen bestimmter Forschungen übereinstimmen. Zwar laufe die Verteilung von Forschungsgeldern oftmals über interdisziplinäre Wissenschaftsverbünde, doch könne sie gleichwohl konkrete Arbeiten eher behindern als fördern. Eine Gegenfrage könnte sein, ob nicht gerade die Disziplinarität in Universitäten die Möglichkeit bieten kann, Forschungsbereiche abzustecken und somit einen breiten Diskurs zu ermöglichen. Ebenfalls wurde in der Diskussion die Frage thematisiert, inwieweit Interdisziplinarität durch die Herangehensweise von Institutionen bedingt wird. Vor allem führte der Tagesordnungspunkt jedoch zu einem grundlegenden gegenseitigen Austausch der interdisziplinären Zusammensetzung beider Projekte.
Ansprüche äußerer Kommunikation als transdisziplinäre Herausforderungen
Ein weiterer Punkt der Tagesordnung gestaltete sich anhand der Frage nach Transdisziplinarität, konkreter nach dem Umgang mit disziplinübergreifenden Problemen. Eine transdisziplinäre Herausforderung, die, wie festgestellt wurde, vor allem eine Symmetrie zwischen dem Gentechnologiebericht und dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden markiert, ist es, Themen einem breiten Publikum nahezubringen. Dies betrifft grundlegend die Balance zwischen wissenschaftlichem Anspruch und ansprechender Präsentation. Eine museale Herausforderung besteht hierbei, wie Susanne Roeßiger bemerkte, in erster Linie darin, dass langfristig ansprechende Themen für Ausstellungen anspruchsvoll ausgearbeitet werden sollten, um einen transdisziplinären Rahmen zu schaffen, mit dem ein breites Publikum sowohl erreicht als auch für ein Thema interessiert werden kann, wodurch wiederum ein Forum für Debatten entstehen kann.
Vorweggenommen wurde in der Diskussion von Transdisziplinarität auch ein späterer Tagungsordnungspunkt, nämlich die Frage nach dem Bildungsauftrag beider Projekte, der die Bipolarität zwischen Forschungsinteressen und öffentlicher Wahrnehmung bedingt. Die hierbei eigentlich verhandelte Frage war, worin genau dieser Anspruch idealerweise bestehen sollte. Während seitens des Gentechnologieberichts versucht wird, der Öffentlichkeit Zugang zu einer umfassenden Menge an Forschungen zu verschaffen und sämtliche relevante Dimensionen von Problemen zu erfassen, wurde an dieser Stelle die Praktikabilität dieses Vorgehens thematisiert. Besonders für das DHMD stellte es sich als wichtigerer und realistischerer Anspruch heraus, ein öffentliches Problembewusstsein für Themen zu schaffen, anstatt jeder und jedem einen Zugang zu sämtlichem gesammelten Wissen zu präsentieren. Dieser Ansatz entspricht letztlich dem geisteswissenschaftlichen Vermittlungsansatz des Museums im Speziellen und des Projekts Anthropofakte im Allgemeinen. Die Diskussion der verschiedenen Bildungsaufträge zeigte letztlich vor allem die verschiedenen Präsentationsformen auf, die in den Projekten Anwendung finden.
Bei den bisherigen Veröffentlichungen des Gentechnologieberichts erwies es sich, wie festgestellt wurde, als spezifisches transdisziplinäres Problem, eine Übersetzungsarbeit zu leisten. Da die Präsentation wissenschaftlicher Arbeiten hier, anders als etwa im Museum, allein über Sprache funktioniert, ergab sich oftmals die Problematik, aus den Fachtermini der spezifischen Forschungskontexte heraus eine einheitliche Sprache auszuprägen, um so ein gemeinsames Publikum ansprechen zu können. Dabei kam auch die generelle Grundfrage nach der Kommunizierbarkeit von Gentechnologie auf, denn bereits der Begriff »Gen« erweist sich als funktionaler und forschungsspezifischer Terminus, der schwer zu fassen ist. Dies könnte in erster Linie eine Forderung an die Geisteswissenschaft darstellen, öffentliche Zugänge zu schaffen. Doch schon aus den verschiedenen Paradigmen der unterschiedlichen Wissenschaften ergeben sich ständige Sprachprobleme. Etwa die Verwendungen der Begriffe von »Leben« oder »Natur« stellten sich, wie angemerkt wurde, in der Vergangenheit als unvereinbar heraus.
Thematisiert wurden auch die Herausforderungen einer objektiven Sprache, der Ausklammerung diskriminierender Begriffe und der Herstellung eines politisch korrekten Vokabulars. Hierbei richtet sich, wie festgestellt wurde, das Betrachtungsfeld auf die gesellschaftliche Verwendung von Begriffen. Da die Prothetik bereits eine längere Tradition hat und somit von einer Sprachgeschichte begleitet wird, ergibt sich für das Anthropofakte-Projekt die Möglichkeit, eine historische Betrachtung von Begrifflichkeiten anzustellen. Dies legt etwa einen Blick auf gesellschaftliche Normverschiebungen frei. Für die junge Gentechnologie besteht diese Betrachtungsmöglichkeit jedoch bisher nur bedingt, sodass sowohl das Aufarbeiten von Sprachverwendung als auch die Erarbeitung von Normen zu wichtigen Aufgaben des Gentechnologieberichts werden.
Schnittstellen zwischen Gentechnologie und Prothetik
Der Workshop schloss mit einem Ausblick auf mögliche Arbeitsfelder weiterer Kooperationen und einem Austausch über inhaltliche Überschneidungen. Sowohl durch Prothesen als auch mit Hilfe von Gentechnologie lassen sich menschliche Körper modifizieren. Dennoch unterscheiden sie sich grundlegend in der Art und Materialität dieser Modifikationen, was im Folgenden kurz umrandet werden soll.
Als »Prothesen« sind, wie bereits festgestellt wurde, körperfremde, anorganische Körperelemente bzw. »-ersatzteile« definiert, die eine Funktion für den jeweiligen Körper erfüllen. Prothesen gibt es für Menschen und Tiere. Sie können Organismen sowohl äußerlich unterstützen, wie etwa Arm- und Beinprothesen, als auch innerlich, wie Herzschrittmacher oder Endoprothesen. Verschiedene vom Gentechnologiebericht betrachtete Entwicklungsfelder betreffen ebenfalls körperliche Modifikationen. Hierbei lässt sich etwa die pluripotente Stammzellenforschung anführen, die bereits diverse Möglichkeiten der regenerativen Medizin und des Klonens von Lebewesen aufgezeigt hat. Auch in Gentherapien wird seitens der Medizin versucht, durch das Einbringen von Genen in somatische Zellen oder in Gewebe, einen therapeutischen oder prophylaktischen Nutzen für Menschen zu erzielen. Als ein weiteres Beispiel stellt sich die nicht nur an Pflanzen gerichtete synthetische Biologie heraus, in der an künstlich synthetisierten, bakteriellen Genomen geforscht wird, deren Implantation in Organismen ebenfalls Modifikationen darstellt.
Vor diesem Hintergrund wurde diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen sich Gene auch als Prothesen betrachten lassen könnten. Eine Schwierigkeit stellt hierbei die nach heutigem Forschungsstand eindeutig gefasste anorganische Definition von Prothesen dar. Erst ein Ausblick auf mögliche Entwicklungen der Zukunft könnte Schnittstellen freilegen. Einerseits betrifft dies möglicherweise die zunehmende Synthetisierung der Gentechnologie. Andererseits existieren bereits Prothesen, wie etwa Gefäßstützen, die aus biokompatiblen Polylactiden hergestellt sind, sich nach einigen Jahren im Körper auflösen und durch organische Muskelzellen ersetzt werden. Beides sind Tendenzen, die die Grenzen zwischen den beiden Forschungsfeldern überschreiten und ein gemeinsames Forschungsfeld freilegen könnten. Ebenfalls wurde die Frage nach Überschneidungen von Gendoping, Körpermodifikationen und dem Einsatz von Prothesen im Leistungssport diskutiert, die sich gleichwohl nur in einem Ausblick auf die Zukunft erfassen lassen. Doch eine Betrachtung des Fortschritts bildet einen Teil des Arbeitsauftrags des Gentechnologieberichts und ist ebenfalls im Interesse der Anthropofakte-Forschungsgruppe. Sie könnte somit eine Grundlage weiterer Kooperationen bilden.