Echte Handarbeit – Ein Werkstattprotokoll
In der Prothetik zeichnen sich momentan verschiedene Tendenzen ab. Die Frage, welches technische Niveau sich mithilfe neuester Technologien realisieren lässt, scheint sich immer weiter von der Frage zu entfernen, wie viele dieser Möglichkeiten sich massentauglich, günstig und einfach umsetzen lassen. Während sich die Standards etablierter Hersteller der Orthopädietechnik bereits im Hightech-Bereich bewegen, scheint gleichzeitig ein anderer Ansatz den Markt zu unterwandern: nämlich der, mit den Verbreitungsmöglichkeiten und neuen Wissensformen des Internets sowie Innovationen der Produktherstellung Prothesen einfacher und für eine breite Öffentlichkeit Betroffener zugänglich zu machen. Und dies ist offenbar eine bloße Begleiterscheinung größerer Entwicklungen.
Wichtige Grundlagen all dieser Bestrebungen bilden sowohl technische Errungenschaften der 3D-Druck-Technologie als auch Online-Designplattformen nach dem Open-Source-Prinzip wie etwa Thingiverse. Im Artikel »Komm, wir drucken uns eine Prothese!« wurde bereits der Horizont dieser Möglichkeiten betrachtet, die wegweisend für die Zukunft der Prothetik sein könnten. Nun möchten wir jedoch noch einmal kurz in der Gegenwart verweilen und den Versuch eines Querschnitts wagen. Wir fragen uns konkret: Was ist der gegenwärtige Stand der Technik? Kann man sich nun eine Handprothese selbst drucken? Wir probieren es aus.
Der Plan
Auf Thingiverse befindet sich eine ganze Reihe von Entwürfen für mechanische Handmodelle. Als Druckvorlagen bestehen diese zumeist aus einigen Einzelteilen, die später über einen zur Verfügung gestellten Bauplan zusammengesetzt werden. In ihrer Online-Präsentation hängen den verschiedenen Modellen häufig ebenfalls Fotos und Videos bereits gedruckter Exemplare an, die andere Nutzerinnen und Nutzer erstellt haben. Dadurch wird versucht, eine möglichst realistische Abschätzung des Ergebnisses zu präsentieren. Die entscheidende Entwicklung ist also die folgende: Der Expertise der Wenigen steht eine immer mächtigere Form geteilten Wissens gegenüber – das Schwarmwissen einer kollektiven Intelligenz.
Ein auf Stabilität und Leistungsfähigkeit ausgerichtetes Handmodell ist etwa die Robohand, die aus wenigen, leicht zu druckenden Teilen besteht, und bereits den Status einer alltagsfähigen, professionellen Prothese genießt.1 Für unser Projekt haben wir uns jedoch für ein anderes Modell entschieden: das Modell Flexy-Hand 2 von einem Nutzer mit dem Avatar Gyrobot, bei der der Schwerpunkt auf einer organischen Umsetzung der Handform liegt. Anders als viele verfügbare Designs, in denen zahlreiche Metallschrauben und -klammern verbaut werden, kommt es fast ausschließlich mit flexiblen Kunststoffgelenken aus, die sich ebenfalls 3D-drucken lassen. Durch ein Spannungssystem, für das lediglich fünf nicht-druckbare Schrauben, Klettbänder und Fäden benötigt werden, kann durch Bewegung des Handgelenks ein Greifmechanismus ausgelöst werden. Letztlich ist die Flexy-Hand 2 also eine einfache mechanische Handprothese für Personen, deren Handstumpf zumindest über das Handgelenk hinausreicht, welche die motorische Grundfunktion des Greifens verwirklichen kann.
Für die Umsetzung stellt sich zunächst die Frage nach dem gegenwärtigen Stand der 3D-Druck-Technologie. Zwar gibt es neben professionellen 3D-Druckern, wie sie in der Medizin verwendet werden, bereits einige günstigere Modelle auf dem Markt, doch auch diese lassen sich erst nach einer intensiven Beschäftigung sowohl mit der Hardware als auch mit der benötigten Software bedienen. Entwicklungen zu noch intuitiveren Bedienoberflächen, wie sie im Falle von PCs entscheidend zur Markterweiterung beigetragen haben, sind für die Zukunft denkbar, doch der Entwicklungsstand einfacher 3D-Drucker zum Zeitpunkt unseres Experiments ist ein anderer: Mit etwas Erfahrung lassen sich die Geräte auch von Laiinnen und Laien bedienen, aber der Anwendung eines solchen Druckers sollte zumindest eine professionelle Anleitung oder eine sehr intensive Auseinandersetzung damit vorausgehen. Der Weg zum »Homefabbing« für alle, das sich als Zukunftsvision aufdrängt,2 ist also noch nicht vollends bestritten.
Im 3D-Druck-Studio
Einen geeigneten Umgang mit diesem Stand der Entwicklung scheinen jedoch einige pionierhafte 3D-Druck-Studios gefunden zu haben. Eines davon ist das junge Berliner Unternehmen Fab-Lab, das sich in erster Linie als Experiermentierstube rund um den 3D-Druck begreift – als »Herstellungslabor« eben. Dort herrschen eine positiv angespannte Arbeitsatmosphäre und ein geselliger Umgang vor. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind weniger an Geschäften als an gemeinsam mit Freizeitbastlerinnen und -bastlern vollbrachten, guten Druckergebnissen interessiert, seien es Spaßprojekte wie selbstgedruckte Gehäuse für Gameboys oder ernsthafte Anliegen wie Prothesendrucke. Es ist ein geselliger, produktiver Hort für Interessierte – und für unser Projekt genau das Richtige.
Wer dort etwas produzieren möchte, sollte zunächst ein Einführungsseminar belegen, in dem das Vorbereiten und Durchführen von Drucken behandelt wird, das auch mit einem Testdruck endet: In unserem Falle konnten wir anschließend kleine Schlüsselanhänger-Eulen mit nach Hause nehmen. Wichtig ist hierbei vor allem der Umgang mit der Druckvorbereitungsprogramm Makerbot, einer Gratis-Software, mit der sich auch heruntergeladene Dateien von Thingiverse öffnen und bearbeiten lassen.
Vorbereitung und 3D-Druck
Makerbot liefert die Schnittstelle zwischen einem Design und dem 3D-Drucker. Öffnet man das Programm und stellt das passende Druckermodell ein, wird darin zunächst der druckbare Raum, ein leerer Quader, grafisch dargestellt. Lädt man ein Design als Datei hinein, wird es als Element im Raum visualisiert, das sich darin frei bewegen und drehen lässt. Ebenfalls lässt es sich auf verschiedene Größen skalieren, was für Prothesen insofern wichtig ist, als dass sich diese passgenau für verschiedene Körpergrößen herstellen lassen. Viele Designs liefern Skalierungstabellen mit.
Der Druckvorgang selbst läuft wie folgt ab: Das Ende eines Kunststofffadens, der nach und nach wie bei einer riesigen Nähmaschine von einer Spule abgewickelt wird, wird in einem Druckkopf geführt und erhitzt, sodass es schmilzt und formbar gemacht wird. Der Druckkopf ist beweglich und in der Lage, vorprogrammierte Wege zurückzulegen, auf denen er an den gewünschten Koordinaten Kunststofffasern ausgibt. Auf diese Weise kann er Schicht für Schicht von unten nach oben Körper drucken. Dieses Verfahren nennt sich »Fused Deposition Modeling« (»FDM«). Mit einem Druckkopf lassen sich nur Elemente einer Farbe drucken, doch es gibt auch Drucker mit mehreren Druckköpfen für mehrfarbige Objekte. Wir haben uns unter der großen Auswahl für einen silbernen Grundton entschieden, der die Künstlichkeit der ansonsten organisch aussehenden Hand veranschaulicht.
Der Bausatz der Flexy-Hand 2 besteht aus insgesamt 37 einzelnen Elementen, daher umfasst der Download diverse Dateien und es lassen sich aus diesem Dateipaket heraus verschiedene Varianten der Handprothese drucken. Vor dem Druck sollte man sich also genau überlegen, welche Elemente man wirklich benötigt. Theoretisch ließen sich alle Teile in zwei Druckaufträgen drucken, die Gummigelenke (aus Ninjaflex) in einem, die Plastikelemente (aus Filament) in einem zweiten. Da die einzelnen Teile der Handprothese sehr unterschiedliche Formen haben, empfiehlt es sich jedoch, die härteren Handelemente nicht alle gemeinsam, sondern nacheinander in mehreren Durchläufen zu drucken. Kompliziertere Formen ohne größere Grundfläche machen es zuweilen notwendig, Stützen (»Rafts«) und/oder eine selbstklebende Grundfläche (»Support«) mitzudrucken, mit deren Unterstützung Freikörper auf der Druckplatte während des Druckvorgangs frei stehen können. Diese Druckhilfen lassen sich nach dem Druck wieder entfernen. Da dies jedoch relativ aufwendig ist, sollten sie nur bei den Elementen Anwendung finden, für die es unbedingt nötig ist.
Es gibt generell verschiedene Möglichkeiten, Designs zu verwirklichen: Sie lassen sich als Hohlkörper, mit einer Füllung in Wabenstruktur oder komplett gefüllte Körper drucken sowie mit einfacher, doppelter oder dreifacher Außenwand. Darüber hinaus lässt sich die Feinheit der Schichten einstellen. Zwar ergäbe die Einstellung feinerer Lagen ein deutlich höher definiertes Resultat, doch es würde die Druckzeit auch exponentiell verlängern, von der wiederum oftmals, wie im Falle des Fab-Labs etwa, auch der Gesamtpreis abhängt. Die Auswahl etwas gröber gelagerter Schichten erwies sich für unser Vorhaben als treffend: Zwar bedingt sie eine weniger detailgetreue Umsetzung der Hand, führt aber auch als interessanten Nebeneffekt mit sich, dass die Fasern zumindest an den Fingern große Ähnlichkeit mit den Strukturen menschlicher Haut aufweisen.
Letztlich ergab sich so mit den von uns vorgenommenen und in der Anleitung empfohlenen Einstellungen (mit 20 % Wabenstruktur innerhalb der Körper und doppelten Außenschichten) unter Berücksichtigung aller Druckgänge eine gesamte reine Druckzeit von 16 Stunden. Diesen ging eine etwa dreistündige Vorbereitungszeit voraus. Es empfiehlt sich, die 3D-Drucks zur Vorbereitung gründlich durchzuplanen, um Fehldrucke zu vermeiden und den Zeit- und Materialaufwand gering zu halten. Das Fab-Lab bietet hierzu eine praktische Vor-Ort-Betreuung seitens ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die laienhaften Unternehmungen wie der unseren zugutekommt und dem oben skizzierten Ethos eines gemeinsamen Experimentierens folgt.
Zusammenfügen der Teile
Beim finalen Akt, dem Zusammenbauen der Prothese, wird die Kluft zwischen Laiinnen bzw. Laien und professionellen Orthopädietechnikerinnen bzw. -technikern wieder deutlicher. Es gibt zwar einen intuitiv nachvollziehbaren Bauplan, dessen praktische Umsetzung jedoch handwerkliches Geschick, philosophische Ruhe, Feingefühl und Kraft erfordert. Das Zusammenbauen dauert, wenn man, wie unserem Falle, ungeübt ist, ca. vier Stunden. Wichtig sind die Bereitschaft zur Improvisation und die Wahl des richtigen Werkzeugs. Zum Abtrennen der Druckstützen etwa empfiehlt sich bei gröberen Abschnitten der Einsatz einer Zange, für feinere Passagen die Verwendung einer Ahle. Das Zusammenstecken von Gelenken und Hand- bzw. Fingerelementen wird durch den Einsatz von Sprühöl deutlich erleichtert. Auch ist es hilfreich, wenn nicht unumgänglich, vierhändig zu arbeiten.
Einige Leerstellen der Bauanleitung laden zum Experimentieren ein. So wird beispielsweise die Wahl des Fadens offengelassen, der von der Armstütze aus durch die Handflächenprothese hindurch in die einzelnen Fingerknöchel gefädelt werden muss. Als wendig, massiv und stabil fiel unsere Wahl nach dem Test verschiedener Optionen auf einen nylonummantelten Draht. Das Einfädeln entlarvte für uns wiederum einige Schwächen der Vorlage, da nach dem Druck die Löcher teilweise unvorhergesehener Weise verstopft waren und an unzugänglichen Stellen durchstochen werden mussten, was nur mit Hilfe dickeren Drahtes möglich war.
Zur Fixierung der Prothese am Unterarm und Handstumpf wird in der Vorlage der Einsatz breiterer Klettbänder empfohlen, wobei, wie sich herausstellte, dünnere Klettstreifen, die eigentlich als Kabelbinder verkauft werden, dieselbe Funktion erfüllen. Zur Stabilisierung einiger Gelenke sollte Sekundenkleber verwendet werden.
Die fertige Hand: Ein Fazit
Die Leistungsfähigkeit der fertigen Prothese lässt sich von Menschen mit zwei ausgeprägten Händen nicht vollends überprüfen. Dennoch mutet das Resultat etwas enttäuschend an. Es fällt auf, dass die Prothese hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit im Ergreifen und Halten von Gegenständen nicht die erhoffte Leistung vollbringt. Das Tragen leichterer Taschen ist möglich, das Ergreifen feinerer Körper wie Stifte etwa oder das Halten schwererer Gegenstände nicht.
Doch es ist durchaus denkbar, dass eine professionellere Feinjustierung dieses Problem lösen könnte. Denn der Mechanismus funktioniert an sich einwandfrei, doch das Spannungssystem bedarf – auch wenn die Stellschrauben einem simplen Prinzip folgen – einer detaillierten, fallspezifischen Betrachtung, die unser Experiment übersteigt.
Der zeitliche Aufwand der Erstellung der Prothese liegt nun zusammengerechnet in etwa bei 23 Stunden. Die reinen Druckkosten (zu denen im Falle des Fab-Labs noch der Preis der Schulung von 85 Euro pro Person kommt) beliefen sich für uns auf ungefähr 100 Euro. Hinzu kommen rund 10 Euro für zusätzliche Materialien wie Schrauben, Faden, Kleber, Klettkabelbinder. Das ist zwar viel Geld, wenn man es nicht hat, doch wenig, wenn man bedenkt, dass sich die Preise industriell gefertigter Prothesen im fünfstelligen Euro-Bereich bewegen. Auch macht das Zusammenbauen der Prothese ein experimentelles Herangehen notwendig, sodass es letztendlich einem behelfsmäßigen, kraft- und zeitaufwendigen Bastelakt gleicht. Doch wenn man nun wirklich eine Prothese benötigt, ist all dies unterm Strich kein Aufwand und der Zugang dazu einfach wie nie.
- 1. Vlg. hierzu http://bit.ly/10UZKH1.
- 2. Einen Ausblick auf das »Homefabbing« liefert dieser Artikel: http://bit.ly/1GAUidl.