Vielzahl und Vielfalt sind ein Kennzeichen der »Prothetik«- Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums. Die Sammlung umfasst etwa 700 Körperersatzteile, die vorwiegend aus dem 20. und 21. Jahrhundert stammen. Die Prothesen, Implantate und Orthesen, Seh-, Geh- und Hörhilfen haben sehr unterschiedliche Funktionen: Sie ersetzen amputierte Körperteile oder -funktionen, ergänzen als unzulänglich wahrgenommene Körper, kompensieren oder optimieren.
Oberschenkelprothese mit Stelzfuß
- Objektmaß (HxBxT): 20 x 87 x 19 cm (liegend, ohne Gurt)
- Holz, Leder, Metall, Gummi, Textiles Gewebe | lackiert, geschraubt, genietet, gesteppt
- Hersteller: unbekannt
Holzprothese mit ledernem Stumpfschaft und mechanisch auslösbarem Kniegelenk/Kniefeststellung. Der Fuß ist lediglich angedeutet und mit einer schwarzen Gummisohle versehen. Die Prothese wurde mittels Gurten befestigt. Im Leder geprägt der Name und die Ziffern "8.71". Die Prothese diente als Arbeitsprothese.
Der Vorbesitzer und Träger dieser Oberschenkelprothese (*1915.04.01 - † 2001.12.20) wurde mit zahlreichen Granatsplitterverletzungen am 21. November 1943 in das Kriegslazarett 2/608 eingeliefert. Am 20. Dezember wurde das rechte Bein amputiert. Nachdem der Patient fieberfrei war erfolgte die Verlegung in ein Heimatlazarett. Dort folgten noch zwei Operationen/Nachamputationen.
Die vorliegende Prothese ließ sich der Verletzte anfertigen, um seiner Arbeit auf dem Feld und Bauernhof nachgehen zu können. Solche Stelzfüße waren bis in die Neuzeit die Standardversorgung für Menschen mit Ober- und Unterschenkelamputationen. Mit ihnen ließen sich auf unebenem Boden kleine Hindernisse gut bewältigen. Daher waren sie für landwirtschaftliche Arbeit sehr geeignet. Allerdings war der Gang mit ihnen unphysiologisch und ermüdend. Häufig traten Stumpfschäden auf. Der Träger dieses Stelzfußes war mit dieser Art der Prothese aber offenbar sehr zufrieden. Er nutzte ab 1950 Stelzfüße, das vorliegende Kunstbein ist bereits eine spätere Ausführung. Da sich der Schaft mit der Zeit weitete, zog er zusätzlich Stumpfstrümpfe an. Im Sammlungsbestand befinden sich insgesamt fünf Oberschenkelprothesen dieses Patienten, die im Zeitraum von 1965 bis 1993 hergestellt wurden (siehe dazu DHMD 2004/791, DHMD 2004/792, DHMD 2004/793,DHMD 2004/794).
Schäfte von Oberschenkelprothesen waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Regel aus Leder gearbeitet. Die Amputierten saßen auf dem Rand des Schaftes auf. Da der Kontakt zwischen Körper und Prothese bei dieser Technik gering war, war ein aufwändiges Gurtsystem notwendig um die Prothese am Körper zu halten. Mit solchen Konstruktionen wurden gelegentlich noch Amputierte des Zweiten Weltkriegs versorgt.
Beiträge zu diesem Objekt
Ob Arm- oder Beinersatz, Hand- oder Fußprothese: Forschung und Technik laborieren seit jeher an dem Problem, verlorene Körperfunktionen zu ersetzen und dabei das Erscheinungsbild der Patientinnen und Patienten so gut wie möglich zu rekonstruieren. Die Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums (DHMD), die die Prothetik von 1870 bis in die Gegenwart dokumentiert, macht dies anschaulich: Die Objekte erzählen von der schwierigen Vereinbarkeit von Form und Funktion. Patientinnen und Patienten mussten bis in die zweite Hälfte des 20.