Im Exoskelett aufs Siegertreppchen: Cybathlon 2016
Wie die erste Olympiade der »Mensch-Maschinen« Gehirne sprinten lässt
Die diesjährige Eröffnungsveranstaltung der Fußball-Weltmeisterschaft hat es bereits gezeigt: Technische Erweiterungen des Körpers werden im Sport zunehmend präsenter. Der ›Kick-off‹ in Brasilien, bei dem ein querschnittsgelähmter Jugendlicher im gedankengesteuerten Exoskelett medienwirksam den ersten Ballanstoß vollführte, kann vielleicht auch als ›Kick-off‹ der Zeit des Cybersports gelten: Denn schon in zwei Jahren – am 08. Oktober 2016 – wird in der Schweiz der erste Cybathlon stattfinden: die weltweit erste Meisterschaft für ›robot-assisted parathlets‹.
Während bei den Paralympics die AthletInnen selbst im Fokus stehen, ihre Leistungen verglichen und gefeiert werden und mittels ausgefeiltem Regelwerk eine Bevorteilung durch Technik möglichst auszuschließen versucht wird, tritt beim Cybathlon genau dieses Zusammenspiel von Hightech-Prothesen, Ingenieurskunst und SportlerInnen den Wettkampf an. Was als Technodoping den AthletInnen der Paralympics zum Vorwurf gemacht wird, ist hier Voraussetzung und Gegenstand der Spiele. Das zeigt sich bereits darin, dass jeweils zwei Medaillen vergeben werden: an die SportlerInnen und die Unternehmen, die die siegenden Prothesen entwerfen, bauen und anpassen. Aus zwei Seiten einer Medaille werden zwei Medaillen für ein Zusammenspiel.
Der Cybathlon hebt sich in vielen Punkten von anderen Wettkämpfen wie den Paralympics ab. Der Fokus auf die Mensch-Maschinen-Schnittstelle wird bereits in der Bezeichnungen deutlich: Querschnittsgelähmte und Amputierte werden zu PilotInnen, also Steuermännern und -frauen ihres Mensch-Technik-Ensembles. Klassische Kriterien zur Bildung von Leistungsklassen wie Geschlecht oder Gewicht spielen keine Rolle, sondern Fall-zu-Fall-Entscheidungen über individuelle Fähigkeiten, Diagnosen und Risiken. Das klassische olympische Prinzip des ›Höher-Schneller-Weiter‹ werden zwar bedient, werden jedoch durch die offensichtlich hohe Komplexität der Schnittstellen um ein ›Angepasster‹ oder ›Differenzierter‹ noch erweitert. Das zunächst nahe liegende Narrativ des Willens als stärksten Muskel, das sich bei gedankengesteuerter Technik noch mehr als bei anderen Sportarten anbietet, wird bei einem zweiten Blick durch das Ineinandergreifen vieler differenzierter Leistungen entschärft. Denn nicht nur das Gehirn der Cyborgs, sondern auch die Gehirne des gesamten Entwicklungsteams werden im Wechselpiel mit Material, Aufgabenstellung und technologschen Möglichkeiten herausgefordert.
Gleich in sechs Disziplinen treten die PilotInnen und ihre Teams, gleichbedeutend mit namhaften Robotik-Unternehmen, gegeneinander an: Arm Prosthetics Race, Leg Prosthetics Race, Powered Wheelchair Race, Powered Exoskeleton Race, Brain-Computer Interface Race und Functional Electrical Stimulation Bike Race.
In der Disziplin Brain-Computer Interface Race beispielsweise steuern die querschnittsgelähmten SportlerInnen mittels Hirnaktivität einen virtuellen Avatar in Gestalt eines Menschen, Pferdes oder Autos. Aber selbst wenn den PilotInnen selbst keine Bewegung anzusehen ist – auch Augenzwinkern ist nicht erlaubt – ist der Wettkampf publikumstauglich: Die Fans können aus den Ego-Perspektiven der zwei direkt gegeneinander antretenden ParathletInnen mitfiebern.
Erwähnenswert sind zuletzt auch die Motive der Veranstalter: So soll der Cybathlon zum einen eine Plattform bieten für die Entwicklung neuer technologischer Hilfsmittel für das alltägliche Leben und damit ein Innovationsmotor für die Prothetikbranche darstellen. Zum anderen zielt die Veranstaltung auf den Abbau von Berührungsängsten sowohl zwischen Menschen mit Behinderungen und einer nicht-behinderten, bzw. einer behindernden Öffentlichkeit als auch auf den Abbau von Skepsis gegenüber wissenschaftlich-technischen Eingriffen in den Körper.
Der Cybathlon 2016 kann also, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die ihn begleitende Berichterstattung und der deren Einbettung in den Cyborg-Diskurs, mit Spannung erwartet werden.
Mehr Infos zum Cybathlon gibt es auf der Website des Veranstalters.