»Sie haben immer einen Fremdkörper im Hals«

Gespräch mit Frank Mädler über Stimmverlust und dessen Kompensation – mit und ohne Prothese.

Nach einer Kehlkopf-Amputation keine Stimme mehr zu haben, ist für viele Betroffene nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Belastung. Darum ist sowohl vor als auch nach der OP sensible und fachkundige Beratung gefragt. Welche Form der Stimmrehabilitation ist für die jeweiligen PatientInnen geeignet? Diese Begleitung wird häufig durch Betroffenenverbände geleistet, z. B. durch die Mitglieder des Landesverbands der Kehlkopfoperierten Freistaat Sachsen e. V.. Dessen Vorsitzender Frank Mädler spricht aufgrund einer Erkrankung seit 1989 prothesenlos mit der Ösophagus-Stimme. Im Interview wirbt er dafür, bei Beratungen die Stimmprothese nicht als einzig sinnvolle Lösung zu präsentieren. Auch eine nicht-prothetische Lösung, wie das Erlernen der Ösophagus-Stimme, habe das Potential, kehlkopflosen Menschen das Sprechen wieder zu ermöglichen.

Herr Mädler, nachdem Sie damals operiert wurden, fassten Sie gemeinsam mit Ihren zwei Zimmergenossen aus der Klinik den Entschluss, einen Landesverband der Kehlkopfoperierten in Sachsen zu gründen. Dieses Jahr feiern Sie 25-jähriges Bestehen – herzlichen Glückwunsch! Was ist die Idee hinter diesem Verband? Was bieten Sie an?

Das erste, was wir anbieten und in unserer Grundausrichtung wichtig ist: Alle, die operiert werden – wobei wir jetzt nur von Sachsen sprechen – werden vor der OP durch einen unserer Patientenbetreuer beraten. Dabei sind ganz spezielle Vorgehensweisen wichtig. Ich kann nicht dem Menschen, dem gerade gesagt wurde, dass er Krebs hat, mit Informationen zupacken, das bringt nichts. Wir müssen also ganz klein anfangen und auf wichtige Dinge aufmerksam machen: z. B. den Zahnersatz.

Dann kommt die Zeit der OP. Da wird der Patient vom Patientenbetreuer in der Klinik betreut. Wir haben eine Logopädin im Verband, die dafür zuständig ist.

Dann kommt die nächste Welle, Stichwort Arbeit & Behinderung. Wir informieren die Angehörigen und fragen, was er gearbeitet hat. Könnte das eine Berufserkrankung sein? Wir müssen das wissen und wir müssen den Arzt darauf hinweisen. Überhaupt das Problem Arbeit: Kann er wieder arbeiten oder nicht? Es war mal die große Masche: Wenn man Kehlkopfkrebs hat, dann wird man berentet und braucht nie wieder zu arbeiten – das ist verkehrt. Man kann arbeiten. Wer aber einen handwerklich schwierigen Beruf hat, muss umschulen.

Stichpunkt Berufskrankheit – Sie selbst haben in der Forschungsabteilung der Wismut1 gearbeitet. Hat das etwas damit zu tun?

Nein. Nach der Wende haben viele geglaubt, Wismut, also der Uranabbau, sei krebserregend. So ist es nicht. Wenn einer völlig schutzlos unter Tage gearbeitet hat, da konnte es schon sein, dass er impotent geworden ist. Aber die reinen Krebserkrankungen aufgrund der Arbeit bei der Wismut sind in der Mehrzahl in den Aufbereitungsbetrieben, also nicht im Bergbau passiert. Aber auch hier wäre eine Frist von 10 bis 15 Jahren anzusetzen. Ich selbst habe einmal einen Antrag gestellt, so ungefähr ’92/’93. Das ist damals abgelehnt worden und ich hab dann nie wieder nachgehakt.

Aber unsere Leute hier haben in der Hauptsache – wenn es Berufserkrankungen sind – Asbest, Farbe, Lacke, das ist eigentlich das, was im Vordergrund steht, und wird eigentlich auch dementsprechend berücksichtigt. Und das hat in den letzten fünf, sechs Jahren auch ein sicheres Fundament gekriegt.

Die Erfahrung, durch die Krankheit recht plötzlich seine Stimme zu verlieren. Darf ich fragen, wie Sie das erlebt haben?

Der Verlust der Stimme ist grausam. Ich bin eigentlich damit nie so konfrontiert worden, sondern ich hatte damals schon Freunde, die kehlkopflos waren, als ich kehlkopflos wurde. Die haben mich – wenn auch auf medizinisch nicht ganz korrekte Art – gefragt: »Kannst du Rülpsen?«. Wenn man dann »A« »E« »I«, »Ball« rülpsen kann, dann ist das die Grundlage der jetzigen, also der Ösophagus-Stimme und das habe ich schon vor meiner Operation gelernt.

Zwei Wochen nach meiner OP, als der Schlauch gerade draußen war, kam die große Sitte, da hab ich vor meinem Bett gestanden und hab dann rausgwürgt »Gu-ten-Mor-gen«. Der Chefarzt war sichtlich überrascht. Da lachen wir heute noch drüber, wir sind gut befreundet. Also da habe ich die Grausamkeit, wie sie viele erleben, nicht erleben müssen. Aber zum Beispiel der dritte Mann in unserem Trio hat bis September kaum sprechen können. Das hat ihn wahnsinnig fertig gemacht, auch körperlich. Dann gings aber – mit einem Mal. Das ist mir ein Rätsel, wir wissen bis heute nicht, warum das manchen eben gelingt und manchen nicht.

In der Zeitschrift des Bundesverbandes der Kehlkopfoperierten, dem »Sprachrohr«, habe ich gelesen, dass die psychologische Behandlung nach einem Kehlkopfverlust sehr wichtig ist. Warum ist das so?

Die psychologische Behandlung nach einer Kehlkopfoperation ist eigentlich ein Bestandteil der logopädischen Behandlung. Bestimmte Hemmschwellen werden versucht abzubauen.

Ich stelle mir eine psychologische Betreuung sehr schwer vor, denn die sprachlichen Ausdrucksmittel sind ja kurz nach einer OP gerade begrenzt…

Das bringt auch meistens nichts. Es sind die wichtigen Veränderungen, die wir dem Patienten nach der OP beibringen müssen. Das sind zum Teil Legenden, zum Teil die Wahrheit. Was nach einer Laryngektomie fehlt, ist die Bauchpresse, also die Möglichkeit, im Bauchraum Druck aufzubauen. Jeder Toilettengang ist nicht einfach, das muss man trainieren. Erstens, indem Sie Luft holen und das Stoma zuhalten, zweitens ist es auch durch eine bauchmassierende Bewegung möglich, den Stuhlgang rauszudrücken.

Und Wasser. Wasser ist ein Giftstichwort. Wenn ein Kehlkopfloser Wasser in sein Stoma kriegt, ist er tot – das ist die Legende. Die Wahrheit sieht anders aus. Man ist nicht tot, der Körper wehrt sich. Wir werden nicht mehr kopfüber ins Wasser springen, aber man kann das zum großen Teil ausgleichen. Es gibt Wassertherapie, es gibt Wassertherapie-Geräte2 und Wassertherapie-Beauftragte. Ich habs probiert, ich hab mich 20 Jahre gewehrt und dann hab ichs doch gemacht und finds heute klasse.

Und natürlich, das sage ich ein bisschen lustig, wenn ich Beratung habe: »Ihr könnt hübschen jungen Frauen nicht mehr hinterherrennen, da bleibt euch die Luft weg. Also: alles schön langsam.«

Wir haben nicht zu wenig, wir haben zu viel Luft. Uns fehlen 17 cm bis zum Hals. Die Luft wird nicht angewärmt, nicht befeuchtet, sie geht hier brutal nach innen. Die Lunge ist nicht in der Lage, so schnell das umzusetzen, wie wir das von früher gewöhnt sind. Daher der Effekt der Atemlosigkeit. Deswegen empfehlen wir: »Stellt einen Antrag auf Packerleichterung, dass ihr nicht die schwere Säcke beim Einkaufen so weit tragen müsst.«

Und noch ein Spaß: Die Frauen, die sind ganz scharf auf kehlkopflose Männer – Warum? Wir können stundenlang Küssen, ohne Luft zu holen.

Wie ist das mit dem Riechen?

Es ist so, dass der Patient, wenn er operiert ist, den Geruchssinn erst einmal verliert. Den Geschmackssinn nicht, die Geschmacksknospen liegen ja normal auf der Zunge. Die sind zwar eingeschränkt, aber nicht weg. Der Geruchssinn muss trainiert werden. Man muss die Luft mit Mundbewegungen zur Nase leiten. Auch das Ausschnauben muss trainiert werden.

Die Stimmprothese, auch Shunt-Ventil genannt, ist eine Möglichkeit der Stimmrehabilitation, die zunehmend angewandt wird. Was sind die Vor- und Nachteile?

Die Stimmprothese ist eine segensreiche Erfindung, aber nach meiner Meinung nicht so, dass sie generell verordnet werden sollte. Das wäre ja wie in einer Diktatur. Mit Shunt-Ventil ist das Lernen der Stimme auch nicht einfach, man muss den Anpressdruck lernen.

Sie hat einen Nachteil, der ganz schlimm ist: das ist der Befall mit Bakterien. Es kann bis heute nicht nachgewiesen werden, welcher Mensch diesen »Edelrost« hat und wer ihn nicht hat. Das ist auch vor der Kehlkopfoperation nicht messbar. Das hat nach meinen Erfahrungen in den letzten Jahren zugenommen – auch deshalb, weil die OPs mit Stimmprothesen mehr geworden sind.

Der Patient hat nicht wie ich die Hände frei, es ist immer eine Hand besetzt, um das Stoma abzudecken, es sei denn, er trägt ein Modell, bei dem das Sprechen ohne Hand möglich ist. Das wiederum bedarf eines noch größeren Anpressdrucks, das kann nicht jeder. Ich hab also in den 25 Jahren vielleicht 10 Mann erlebt, die das konnten.

Und der nächste Nachteil ist das Geld. So ein Shunt-Ventil kostet inklusive Einsetzung ungefähr 450 Euro. Als Oesophagus-Sprecher verbrauche ich vielleicht 30 Euro von dem Gesamtkontingent. Dank der Aufsplittung bei den Kassen ist das sehr gut: Das Geld, das bei mir übrig bleibt, kommt meinem Freund, der ein Shunt-Ventil hat, zugute.

Wird die Stimmprothese überschätzt, bzw. die Alternativen unterschätzt?

Derjenige, der die Beratung mit dem Patienten durchführt, sollte meiner Meinung nach auch die Meinung des Patienten respektieren und nicht automatisch die Prothese verordnen. Wenn wir bei der Beratung sagen: »Shunt-Ventil – gut, aber wie sieht es denn mit Rülpsen aus? Machen sie vor, jetzt haben Sie Zeit, trainieren Sie das jeden Tag und sagen Sie ›Ah‹, ›Eh‹, ›Ih‹ ›Oh‹, – wenn sie das können, können sie reden.« Da schimpfen die Logopäden und sagen: »Das sollst du doch nicht machen, das klappt nicht bei allen.« Ja, es klappt bei ganz ganz wenigen dann nicht, wenn der Krebs zu groß ist, dass der Zungengrund befallen ist. Aber dann ist die Sprechhilfe, die elektronische, die letzte Rettung, denn der Mann wird so nicht mehr sprechen können, wenn der Zungengrund weggeschnitten ist.

In unserem Projekt interessieren wir uns ganz besonders für die Schnittstelle, also für den Ort, an dem das menschliche Gewebe auf das künstliche Material trifft. Das ist bei fast allen Prothesen das größte Problem. Wie ist das bei einem Shunt-Ventil? Kann es da auch »Schnittstellen-Probleme« geben?

Ja, das ist der vierte Nachteil: Sie haben immer einen Fremdkörper im Hals. Das führt in vielen Fällen zu Stenosen, also Reibereien in der Speiseröhre und Luftröhre. Das führt zu Undichtigkeiten und so können Speisereste durch das Shunt-Ventil aus der Speiseröhre in die Luftröhre gelangen.

Es gibt aktuell Versuche in Frankreich, künstliche Kehlköpfe, also Kehlkopfprothesen einzusetzen. Damit würde die Stimmprothese und auch das Tracheostoma, also diese künstliche Öffnung im Halsbereich, überflüssig. Wie schätzen Sie diese Versuche ein?

Es gab schon viele Versuche in die Richtung. Es gab auch einen ganz verrückten Professor, der hat eine ganze Weile experimentiert, einem Mann einen Schweine-Kehlkopf einzusetzen. Er wurde abgestoßen, alles nicht erfolgreich. Das Problem ist: Der Kehlkopf ist nicht durchblutet, hat keinerlei Verzweigung zum Blut, zu Gefäßen. Und weil es ein reines Knorpelstück ist, muss er mit einem riesen Umfeld an Fleisch und Blutgefäßen transplantiert werden und das ist bis heute nicht gelungen. Aber ich glaube, eines Tages wird das gelingen. Aber wann – weiß ich nicht.

Herr Mädler, Sie engagieren sich international in der Europäischen Konföderation der Laryngektomierten (CEL) und organisieren Hilfsmittellieferungen in die ganze Welt, z. B. Akkus für elektronische Sprechhilfen nach Vietnam. Mir scheint, dass die Solidarität in der Kehlkopflosen-Community besonders stark ist. Warum ist das so?

Keine Ahnung, warum. Aber eins steht zu 100 Prozent fest: Kehlkopflose sind sich auf der ganzen Welt immer näher als andere Menschen. Also das habe ich festgestellt, egal wo ich war. Ich fühle mich als eine große Familie auf der Welt, helfe, wo ich kann – ganz egal ob sie arm oder reich sind. Wenn sie reich sind, dann brauchen sie kein Geld, keine Klamotten, vielleicht auch keine Hilfsmittel – aber Worte brauchen sie.

Vielen Dank für das Gespräch.

  • 1. Die SDAG (Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft) Wismut betrieb von 1954 bis 1991 Förderung von Uranerz in Sachsen und Thüringen und machte die DDR zur viertgrößten Uranproduzentin der Welt. Nach der Wende ging die Wismut vollständig in den Besitz der BRD über, der Uranabbau wurde eingestellt. Seitdem war die Wismut immer wieder wegen Schadensersatzforderungen ehemaliger, an (Lungen-)Krebs erkrankter Mitarbeiter in den Medien.
  • 2. Wassertherapie-Geräte gestatten dem/der Träger_in den gefahrlosen Aufenthalt im Wasser. Sie sind jeweils mit einer aufblockbaren Kanüle und einem Mundschlauch ausgestattet. Dieser bewirkt, dass der Luftstrom vom Stoma in den Mund geleitet wird, sodass die Anwender_innen letztlich wieder durch die Nase atmen und deshalb wieder »normal« riechen können. Vgl. http://kehlkopfoperiert-bv.de/patienten/wassertherapie [16.02.2015].